Diese Zeilen wurden in Bali geschrieben. Ich hatte diese Reise lange im Voraus geplant, bevor der Coronavirus die Welt erschütterte und beschloss, dass ich an meinen Plänen festhalte, es sei denn, mein Flug von Frankfurt aus würde gestrichen. Ich flog am 17. März nach Bali und am 20. März wurde die internationale Einreise gestoppt. Das Risiko, möglicherweise zwei Wochen in Quarantäne zu müssen, war für mich in Ordnung, aber zum Glück ist das nicht passiert. Du magst es Zufall nennen, ich nenne es Schicksal.
Es war mir wichtig, eine Pause von den Medien, Meinungen und Ratschlägen zu bekommen. Ich deaktivierte meinen Instagram-Account wieder und verließ verschiedene Facebook-Gruppen. Um meine eigene Energie zu schützen und zu bewahren, musste ich der (deutschen) Negativität und der ständigen Angst um mich herum für den Moment den Rücken kehren. Ich wollte Zeit und Ruhe, um meine Situation richtig zu begreifen, mich nach innen zu wenden, zu reflektieren und zu beobachten. Für mich hat sich diese Reise gelohnt, weil ich die Reaktionen auf das Virus in einem anderen betroffenen Land und einer anderen Kultur aus erster Hand erfahren konnte. Besonders interessant war es zu sehen, wie unterschiedlich wir als Menschen, aber auch als Nationen, mit unbekannten Situationen umgehen. Die Pandemie hat unser wahres Gesicht gezeigt.

In den ersten paar Wochen war ich der einzige Gast einer indonesischen Familie in Ubud. Sie kümmerten sich liebevoll um mich und beantworteten mir viele kulturelle Fragen. Das Coronavirus war dort natürlich ein häufiges Gesprächsthema. Die Wirtschaft Balis hängt stark und fast ausschließlich vom Tourismus ab. Die negativen Auswirkungen auf die Menschen dort lassen sich nicht in Worte fassen, und doch konnte ich dort eine Positivität erleben, die ebenso unbeschreiblich ist. Vor allem aber wollte ich wissen, ob meine Anwesenheit als Tourist in dieser seltsamen Zeit überhaupt in Ordnung oder ob es vielleicht sogar respektlos gegenüber dem indonesischen Volk war? Sie erklärten mir, dass man als Mensch überall auf der Welt sein kann und dass niemand ein alleiniges Recht auf unsere Existenz hat – solange man sich an die Regeln hält. Mit anderen Worten: Benutze immer Händedesinfektionsmittel, meide Menschenmengen, trage deine Maske und bleibe ruhig. Ruhig zu bleiben bedeutet in diesem Fall, nicht in Panik zu geraten. Panik, Stress und Angst schwächen das Immunsystem und diese Schwäche macht dich wiederum zur Zielscheibe.
Ketut, mein Gastgeber, meditiert wie die meisten anderen Balinesen mehrmals am Tag. Er sagt, dass man sich keine Sorgen machen muss, wenn man mit sich selbst im Reinen ist, eine Verbindung zu sich selbst aufgebaut hat und Wert auf eine gesunde Ernährung, also Obst und Gemüse, legt. Diese Aussage bestätigt meine Meinung zu diesem Thema noch mehr. Das bedeutet natürlich nicht, dass die Menschen hier auf Bali sorglos sind. Ganz im Gegenteil. Aber die Balinesen gehen mit Stress auf eine ganz andere Art und Weise um, die mich inspiriert.
Im Gespräch mit den Einheimischen verrieten sie, dass sie sich Sorgen machen, wie es in Zukunft für ihre Familien aussieht, ob die Kriminalitätsrate wieder steigt und wie es um den Tourismus auf Bali stehen wird. Dennoch fallen die Menschen dort nicht der Unruhe zum Opfer, denn sie wissen, dass das nichts bringt. Ketut sagte mir, dass Angst für ihn ein Fremdwort ist und am Ende des Tages nur noch mehr Angst erzeugt.
Fast alle Restaurants waren geschlossen oder boten, wie in Deutschland, nur Essen zum Mitnehmen an. Die Strände wurden von Polizeipatrouillen abgeriegelt. Alle Yoga- und Energy-Healing-Studios, für die Ubud sehr bekannt und beliebt ist, wurden auf unbestimmte Zeit geschlossen. Live gestreamte Online-Kurse waren die Lösung. Es war so schön zu sehen, wie kreativ manche Menschen und Unternehmen – egal ob auf Bali, in Deutschland oder in anderen Ländern auf der ganzen Welt vorgehen und welche tollen Ideen und Lösungen in der Pandemie entstanden sind. Die Menschen fangen an, umzudenken und neu zu bewerten, was Mut macht und vor allem einfach schön zu sehen ist.
In Indonesien war die Ausgangssperre noch nicht in Kraft, aber die Regierung appellierte trotzdem an alle Einheimischen und Touristen, zu Hause zu bleiben und ihr Essen so oft wie möglich zu bestellen oder zu kochen. Der Tourismus auf Bali ist so wichtig, dass du hier und da ein paar Geschäfte finden konntest, die geöffnet waren. Von Zeit zu Zeit wurden auf den Straßen kostenlose Masken verteilt und vor allen Geschäften, egal ob Supermarkt oder Restaurant, standen Angestellte und begrüßten dich höflich mit Handdesinfektionsmittel.
Wenn du schon einmal auf Bali warst, besonders in Canggu und Ubud, weißt du, wie viel Verkehr es dort normalerweise gibt und wie viele Touristen diese schönen Orte besuchen. Es war erstaunlich zu sehen, wie ruhig es dort war.
Als ich mich mit meinem anderen Gastgeber Yudi unterhielt, verriet er mir, dass er sogar ein bisschen froh über die Situation war: “Es ist gut für die Umwelt. Für die Natur. Du hörst die Vögel wieder zwitschern und die Luft riecht und schmeckt frischer und klarer. Du kannst wirklich spüren, dass die Erde wieder atmet.”
Auch Nyepi haben wir hier verbracht. Nyepi oder der Tag der Stille ist der höchste hinduistische Feiertag auf Bali und ein allgemeiner Feiertag in Indonesien. Er dient dazu, das balinesische Neujahr zu feiern. Es ist ein Tag, an dem die Hindus ihren Körper, ihren Geist und ihre Seele durch Meditation und Fasten reinigen. Die Balinesen verbringen ihn deshalb in Ruhe und Frieden. Das bedeutet, dass niemand sein Haus verlassen, Lärm machen, Strom oder Feuer benutzen darf. Das Internet ist auf ganz Bali abgeschaltet und der Flugverkehr wird an diesem Tag eingestellt. Da die Balinesen einem anderen Kalender folgen, findet Nyepi nicht immer am selben Tag statt. Dieses Jahr fiel der Feiertag auf den 25. März. Was war daran so besonders? Nyepi wurde wegen des Coronavirus auf zwei Tage verlängert und die traditionelle und beeindruckende Ogoh-Ogoh-Parade, die immer am Vortag stattfindet und mich an einen deutschen Karnevalsumzug erinnerte, wurde vorerst auf August verschoben.
Ich habe auch mit Wayan gesprochen, der mich von Canggu zurück nach Ubud gefahren hat. Zuerst verstand er meine Frage nicht, wie er mit dem Coronavirus umgeht und ob er besorgt sei. Nicht, weil er mich nicht verstand, sondern weil er dachte, dass man – abgesehen von Vorsichtsmaßnahmen – sowieso nichts tun könne. “Es ist wie es ist, und solange du ein Dach über dem Kopf hast und deine Familie mit Essen versorgen kannst, ist alles in Ordnung. Dann kannst du glücklich und zufrieden sein.” Positivität! Das war mein Mantra auf dieser Reise.
Du kennst doch das Sprichwort, dass das Gras auf der anderen Seite des Zauns immer grüner ist und dass man immer das haben will, was man nicht hat? In Deutschland gibt es keine tropischen Temperaturen und die Natur ist nicht mit der auf Bali zu vergleichen. Allerdings möchte man nicht in ein indonesisches Krankenhaus eingeliefert werden, denn der Zustand des Gesundheitssystems ist mehr als kritisch. Die Krankenhäuser haben nicht genügend Betten, es mangelt an Personal und notwendigen Medikamenten. In Ubud traf ich eine junge Frau, die mir von einem Touristen aus Russland erzählte, der vor ein paar Wochen in einem Restaurant einen Herzinfarkt erlitt. Er starb noch am Unfallort, da der Krankenwagen über eine Stunde brauchte, um dorthin zu gelangen. Seine Frau war die ganze Zeit bei ihm und musste das ganze Szenario mit ansehen. Warum erzähle ich dir das? Weil wir uns nur selten bewusst sind, was für ein Glück wir haben, und weil wir nur selten dankbar für die Dinge sind, die wir für selbstverständlich halten…